Integration/"Ausländer" in Finnland

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Kaisa
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#1 Integration/"Ausländer" in Finnland

Beitrag von Kaisa »

Da ja doch einige hier im forum in Finnland leben, hoffe ich mal das mir jemand etwas zu folgender Frage sagen kann: Wie ist das denn in Finnland mir der Integration von Ausländern? Also, mal angenommen man spricht so halbwegs finnisch(natürlich mit akzent und so) und geht als deutsche/r nach finnland, um dort zu leben und arbeiten. Hat man da große Nachteile(beruflich und auch im "normalen" Alltagsleben), weil man eben Ausländer ist? Oder ist das den Finnen egal, woher man kommt? Ich glaube eigentlich(und hoffe natürlich dass es auch stimmt), dass die finnen sehr aufgeschlossen gegenüber Ausländern sind, aber ich habe nur sehr spärliche erfahrungen aus 2 1/2 wochen Finnland-Urlaub und bin mir deshalb nicht so sicher......
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sunny1011
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#2 Re: Integration/"Ausländer" in Finnland

Beitrag von sunny1011 »

Hallo Kaisa,

Es ist klar, dass man es als Urlauber nicht beurteilen kann. Hier einige Erfahrungen:
- ich ging 2000 entschlossen nach Finnland, um mit meinem Verlobten zu leben. Ich wollte gern einen Job schon vor der Auswanderung. Das war aber nicht machbar, denn wenn überhaupt, dann nur Nokia lädt einen aus dem Ausland zum Vorstellungsgespräch ein. Ich habe also alles auf eine Karte gestellt, einen gut bezahlten Job bei Köln auf den Nagel gehängt und meine Wohnung aufgegeben, sowie Hab und Gut bei einer Spedition sowie Familie untergebracht.

Es half mir sehr, dass mein Mann sich mit um den Papierkram geküimmert hat. Schon damals sollte ein Schreiben ausreichen, dass ich z.Zt. die Sprache lernen werde und mein Verlobter für den Unterhalt aufkommt. Pustekuchen. Die Finnen wollten eine Story unserer Beziehung mit der Unterschrift von zwei Zeugen. Eine ungeschriebene EU Regel, aber was soll's - wir haben es abgeliefert. Ich hatte schon einige Telearbeitjobs sowie eine Deutschdiskussionsgruppe, wollte aber schnellstmöglichst einen Job. Es war ein Glücksfall, dass ich bereits einen Job nach nur 2 Monaten ohne genügende Sprachkenntnisse hatte. Im IT / Sprachenbereich. Dort bin ich bis heute und hab's bis zur Hauptprojektleiterin geschafft.

Ich habe schon an der VHS Köln angefangen, Finnisch zu lernen, dann sofort in Helsinki (Offene Uni) und habe das ganze Programm durch. Damals hat die Firma Finnischlernen unterstützt. Das war grosszügig.

Es verging viel Zeit bis ich mich getraut habe, auch Finnisch zu reden. Wohl erst nach gut 1,5-2 Jahren. Klar spricht "fast" jeder in Helsinki Englisch, aber es war immer lästig zu fragen "Sprechen Sie Englisch?" - fast jeder verneinte :rolleyes:

Ich denke die Sprache ist wichtig für die Integration. Ich bin gerade auf Jobsuche, da ich mit dem jetzigen Job nicht mehr so zufrieden bin, und hab schon zwei Vorstellungsgespräche auf Finnisch hinter mir. Oft war es möglich zu wählen, ob Englisch oder Finnisch (da ich mich in der Sprachlerbranche bewerbe), man verschenkt aber Chancen wenn man darauf besteht Englisch zu reden.

Leider ist es so, dass in einer konservativen Umgebung Deutsch zu sein ist nicht einfach. Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich eine sehr intolerante und verhasste Chefin. Es grenzt an Mobbing. Ich würde aber nicht sofort generalisieren, dass man Deutsche hier hasst. Ich sehe das als Engstirnigkeit und mit solchen Fällen wird man überall in der Welt konfrontiert. Es ist nun keine Heldentat, dass Lappland niedergebrannt wurde von den Deutschen. Unsere Generation kann aber nichts dafür...

Weiter zu Integration: durch meine Heirat könnte ich sogar jetzt schon die Staatsangehörigkeit beantragen (reduziert von 5 auf 3 Aufenthaltsjahre). Ich will sie aber nicht, da ich den deutschen Pass abgeben müsste. Ich wüsste nicht, welche Vorteile das noch in der EU bringen würde -und Finnin werde ich ja eh nicht werden. Also ist es gut, wie es ist.

All in all: es gibt nicht mehr oder weniger Bürokratie, sie ist nur anders. Finnen sind sehr respektvoll gegenüber Ämtern (Finanzamt!) also tanzt man schnell aus der Reihe wenn man die übliche deutsche Beschwerdeschiene auflegt ;) Dennoch kann man damit viel bewirken.

Freunde zu finden ist nicht leicht, aber wenn dann geht Qualität über Quantität. Es sind sehr loyale, hilfsbereite und nette Menschen! :]

Gerade bei den Versuchen, Finnisch zu reden stösst man auf Bewunderung. Nur selten dass sich einer darüber lustig macht. Also keine Angst vor Akzenten...

Denkst Du daran, auszuwandern?
Aus Finnen von Sinnen [auf Finndeutsch]: "Finnland verhält sich zu der Erde wie das Erde zu der Universum. Weisst du, wir sind ein bisschen weit weg von die Zentrum, und wenn du vorbeifliegst an uns, denkst du, ach, da gibt es doch nur Wasser und Wolken. Deswegen steigt auch wenige aus hier. Macht aber nix, sind ja auch ganz gut allein zurechtgekommen bis jetzt (...) Allerdings lässt sich dieser O-Ton (...) hochmutiger auslegen. (...) dass ihre Heimat der einzige Ort auf Erden ist, an dem sich wahrhaft intelligentes Leben findet (...)
Naali
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#3 Re: Integration/"Ausländer" in Finnland

Beitrag von Naali »

Bist du dir sicher, dass du den deutschen Pass abgeben musst? Nach meiner Info kann man den deutschen behalten, wenn man den finnischen Beantragt (neue Regelung).

Eigentlich ist das Verhältnis zwischen Finnen und Deutschen sehr gut. Natürlich gibt es solche und solche Leute, aber im allgemeinen ist das Verhältnis sehr gut. Deutsche und Finnen haben eine sehr lange gemeinsame Geschichte und auch sonst sind die Finnen sehr interessiert. Der Lappland Krieg war zwar ein dunkles Kapitel..aber auch die Finnen sind nicht ganz unschuldig. Sie haben damals zu Nazi-Deutschland gehalten und waren an deren Seite.
Normalerweise hat man als Deutscher hier sehr gute Karten. Schwerer haben es Russen und Südländer. Vor allem Russen haben es teilweise sogar sehr schwer.

Ich habe von Deutschen noch nie negatives gehört und auch durch meine Vereinsarbeit (Finnisch-Deutscher Verein) erfahre ich nur Gutes. Heute wurde beim Internationalen Markt unser Stand fast umgerannt..hihi..die Infoblätter und Spezialitäten gingen weg wie warme Semmeln :)
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Kaisa
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#4 Re: Integration/"Ausländer" in Finnland

Beitrag von Kaisa »

Vielen Dank für eure echt langen und sehr informativen Beiträge.
Zu deiner Frage, sunny, mit dem Auswandern: Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, nach Finnland zu gehen. Natürlich noch nicht jetzt, aber vielleicht nach dem ABI(das wäre in 4 Jahren). Naja, und da dachte ich, es könnte hilfreich sein schon jetzt mal ein paar Infos zu suchen, bevor ich mich entscheide. Aber warum eigentlich nicht nach Finnland? Ich kann mir momentan eher ein Leben in Finnland als in Deutschland vorstellen.....
Ich glaub`ich lerne jetzt noch was Finnisch, denn das ist ja fast unerlässlich, wenn man sich wirklich integrieren will! außerdem ist morgen Finnisch-Kurs....
Ich finde es übrigens klasse, dass ihr nach Finnland gegangen seid, trotz der ganzen Hürden.....!
Gruß,
Kirsa
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sunny1011
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#5 Re: Integration/"Ausländer" in Finnland

Beitrag von sunny1011 »

@ Naali

Genau das meine ich mit dem Lapplandkrieg. Und die ewigen Anspielungen gab es nur von vereinzelnten Hirnies, also die werde ich nicht ernstnehmen.

In der VHS Porvoo haben wir auch eine Deutsch-Konversationsgruppe, die ein grosses Interesse an der deutschen Kultur und Geschichte zeigt (und ein enormes Wissen hat!). Auch der Deutsch-Finnische Verband kam in Porvoo zustande. Ist noch ein wenig träge, aber ich bin auf jeden Fall dabei :] .
Zuletzt geändert von sunny1011 am 24. Apr 2005 20:24, insgesamt 1-mal geändert.
Aus Finnen von Sinnen [auf Finndeutsch]: "Finnland verhält sich zu der Erde wie das Erde zu der Universum. Weisst du, wir sind ein bisschen weit weg von die Zentrum, und wenn du vorbeifliegst an uns, denkst du, ach, da gibt es doch nur Wasser und Wolken. Deswegen steigt auch wenige aus hier. Macht aber nix, sind ja auch ganz gut allein zurechtgekommen bis jetzt (...) Allerdings lässt sich dieser O-Ton (...) hochmutiger auslegen. (...) dass ihre Heimat der einzige Ort auf Erden ist, an dem sich wahrhaft intelligentes Leben findet (...)
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#6 Re: Integration/"Ausländer" in Finnland

Beitrag von Naali »

@Kaisa: Ich bin halb Deutsche, halb Finnin und deswegen war es eigentlich nicht schwer nach Finnland zu gehen. Man hat gleich Familie Freunde, kennt Kultur und Sprache und ist voll integriert. Das ist der Vorteil..ich glaube, ich wäre viel zu feige gewesen, in ein fremdes Land zu gehen..hmm.. :rolleyes:

@Sunny: Unser Finnisch-Deutscher Verein Lahti ist jetzt 30 Jahre alt. Mir macht die Arbeit total Spaß und ich möchte den Verein nicht missen. Konversationsgruppen gibt es an der VHS auch, sowie im multikulturellen Zentrum Lahti. Letztere leite ich sowie auch an einer Schule. Ich genieße die Zeit dort total und es freut mich auch, dass so großes Interesse besteht :)
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Naali
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#7 Re: Integration/"Ausländer" in Finnland

Beitrag von Naali »

Ich habe mal einen eigenen Thread draus gemacht..vielleicht ist es dann übersichtlicher :)
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