Negative Aspekte von Finnland

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urso branco
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#391 Re: Negative Aspekte von Finnland

Beitrag von urso branco »

Ich lege mal einfach ganz unvoreingenommen (also ohne die anderen Beiträge gelesen zu haben) los. Manchmal muss ich etwas ausholen. Und bitte nicht missverstehen - ich liebe Finnland. Schade in Finnland finde ich:

* den Kahlschlag der Wälder. Das ist das eins der zwei richtigen "Probleme", welche ich mit Finnland habe. Sicher ist Holz Finnlands wichtigster Rohstoff aber wie sieht es mit der Nachhaltigkeit oder gar Natur- und Artenschutz aus? Naturschutzgebiete sind lächerlich mikrig und drumherum wird ordentlich abeholzt. Auch vor den Primärwäldern in Lapland wird nicht haltgemacht und die finnischen Holzfirmen importieren illegal in Russland abgeschlagenes Holz nach Finnland. Von der Holzpolitik in den tropischen Regenwäldern möchte ich gar nicht erst anfangen. Das Blöde ist, dass ungefär nur noch zehn Prozent des Landes in Staatsbesitz ist.

* ohne Rücksicht auf die heimische Flora wird Monokultur betrieben und oft alles ausser Kiefern aus den gemanagten Wäldern rausgesägt oder Kahlflächen mit amerikanischer Kiefer bepflanzt. Paradox ist auch, dass nicht-einheimische Tiere eingeführt (z.B. Fasan) aber andere invasive Arten (z.B. Marderhund) verteufelt werden.

* es gibt kaum noch richtig alten Wald und das von den Holzfirmen angelegte dichte Waldstrassennetz ermöglicht es einen mit dem Auto fast überall hinzufahren, dass man kaum noch mehr als 500 Meter laufen muss. Es ist erschreckend, wenn man sich ein Luftbild z.B. aus dem finnisch-russischen Grenzgebiet anschaut.

* fast überall im Wald trifft man auf Überreste der Waldwirtschaft (Wassergräben, leere Kanister, Pfade der Waldmaschinen, gelichteter Jungwald)

* das Finnland eines der wenigen Länder ist, in denen der Dachs (?) ohne Grund bejagt wird.

* im Spätsommer sieht man kaum noch Heuballen auf den Feldern, alles Heu wird schön in weisser Plastikfolie verpackt und liegt ganzjährig herum.

* die Restaurants, Cafés, Imbisse und Tankstellen sind in meinen Augen sehr oft ziemlich ungemütlich eingerichtet und laden nicht unbedingt zum verweilen ein. Wenn man es positiv ausdrücken würde: "praktisch eingerichtet".

* Ebenso das Angebot an Einrichtungsgegenständen für die Wohnung: das Meiste gefällt mir absolut nicht und v.a. schon gar nicht zu den Preisen die verlangt werden. Selber (um-)bauen ist da angesagt.

* die Innenstädte vieler Orte haben oft den Charme eines Gewerbegebietes.

* ein Grossteil der Geschäfte, Restaurants und Clubs gehören zu einer Kette. Sehr langweilig das Ganze und ein Verlust jedlicher lokaler Identität. Ist aber in Deutschland auch nicht viel besser.

* Knoblauch und auch anderes Gemüse wird oft in einem sehr fragwürdigen Zustand angeboten. Vertrocknet und alt. Klar, die Wege sind länger aber trotzdem muss man doch nicht solche Lebensmittel anbieten.

* das frühe, für mich auch oft hektische, Mittagessen. Oft habe ich noch gar nicht zuende gegessen, da soll man schon wieder los (?) Ok, früh essen geht, aber ich konnte mich an das Hektische bisher nicht gewöhnen.

* Mein zweites, richtiges Problem: der Kaffee. In Helsinki bekommt man an vielen Stellen guten, frischen Kaffee. Aber meistens laberigen, bitteren Filterkaffee, der oft noch einige Zeit in einer Kanne auf einer wärmenden Platte vor sich hingammelt. Ich benutze Zuhause meine Espresso-Kanne oder die French Press wenn es etwas schneller gehen soll.

* das frühe Abendessen (und direkt danach mit voller Plautze in die Sauna, ich mache es lieber umgekehrt)

* kaum Bäcker, Metzger etc. alles nur abgepackt

* der unbedarfte Umgang mit Plastiktüten. Bei jedem Einkauf einfach ein paar neue Tüten nehmen. Es war vor einiger Zeit in den Medien, dass Finnland ganz oben regiert, wenn es um Plastiktüten beim Einkaufen geht.

* die finnische Wurst

* die Atomkraft

* Das ist jetzt nicht unbedingt negativ, sondern eher mein Unverständnis. Die Eigenart der Finnen wenig oder oft nur das allernötigste Mittzuteilen. Nicht das die Finnen wenig reden aber ich versuche das mal zu verdeutlichen. Oft gehen in einem Gespräch Informationen verloren bzw. werden nicht an den Gesprächspartner vermittelt weil man offensichtlich aneinandervorbeiredet (ok, gibt es überall). Aber oft habe ich das Gefühl nach jeder Information einzeln fragen zu müssen. Das ist sehr schwer zu beschreiben, zumal ich auch nicht weiss ob es nur die Leute waren mit denen ich geredet habe so sind. Aber selbst Finnen haben mir versichert, dass es auch unter Finnen vorkommt. Schwierigkeiten habe ich ebenso mit dem Verstehen von Wegbeschreibungen. Finnen machen vieles sehr spontan, daher wird über vieles nicht gross im Voraus geredet aber Zentraleuropäer v.a. Deutsche hungern nach etwas mehr Information.

Ich glaube das war es.

Es ist eben immer, wenn man in ein anderes Land kommt, wird einem der Spiegel vorgehalten und man sieht wie man auf alles was ein wenig anders ist reagiert. Oft hilft es, sich selbst mehr zu reflektieren und nicht das Bekannte für das einzig Wahre zu halten.
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sunny1011
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#392 Re: Negative Aspekte von Finnland

Beitrag von sunny1011 »

Scharf beobachtet, Urso (momentan mal wieder die Möbelhaus Odyssee, Einheitsbrei).

Ich muss in Verbindung "Grill im Zelt" (Juhannus 2007 Zeitungsschnipsel) noch was loswerden: (Arbeits-)sicherheit find ich (und erstaunlicherweise selbst mein Finne, der unmittelbar mit sowas zu tun hat) erschreckend. Im Hotel hing an einem Baum eine Leuchtkette. Damit sie nicht abrutscht, wurde am Ende mit Packklebeband ein faustgrosser Stein befestigt 80 . Wie es einem ergeht, wenn sich der Stein mal von einer 1,5 m höhe wie ein Damokles Schwert löst und ihm auf die Birne knallt, will ich nicht wissen... Und an der Autobahn häufen sich wieder ungesicherte Baustellen (oder geschlossene Spuren, die erst 100 m davor angekündigt werden, besonders wenn mitten auf der Spur ein gelangweilter summer trainee steht und die Fahrer auf die andere Spur umleitet) 80 .
Aus Finnen von Sinnen [auf Finndeutsch]: "Finnland verhält sich zu der Erde wie das Erde zu der Universum. Weisst du, wir sind ein bisschen weit weg von die Zentrum, und wenn du vorbeifliegst an uns, denkst du, ach, da gibt es doch nur Wasser und Wolken. Deswegen steigt auch wenige aus hier. Macht aber nix, sind ja auch ganz gut allein zurechtgekommen bis jetzt (...) Allerdings lässt sich dieser O-Ton (...) hochmutiger auslegen. (...) dass ihre Heimat der einzige Ort auf Erden ist, an dem sich wahrhaft intelligentes Leben findet (...)
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