Bühne frei ...

Finnische Filme in deutschen Kinos oder im Fernsehen sind rar. Hier ist Raum für Hinweise auf gute Spielfilme, Reportagen, Dokumentationen u. dergl. Ach ja, nicht zu vergessen: das Radio!

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Syysmyrsky
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#1 Bühne frei ...

Beitrag von Syysmyrsky »

Förderpreis für Maria Kilpi auf dem Berliner Theatertreffen

Die Finnin Maria Kilpi hat beim Theatertreffen in Berlin den Förderpreis für neue Dramatik gewonnen. Kilpi wurde mit dem mit 5000 Euro dotierten Preis für ihr Stück "Harmin paikka - wie ärgerlich!" ausgezeichnet. Die Regisseurin, 1979 in Helsinki geboren, studiert Dramaturgie, Szenisches Schreiben und Performing Arts an der Theaterakademie von Finnland in Helsinki. Das preisgekrönte Stück soll in der kommenden Spielzeit am Maxim Gorki Theater Berlin uraufgeführt werden.

http://www.theaterkanal.de/theater/deut ... 956765455/
Hinter einem denglisch-babylonischen Sprachgewirr kann man sich wunderbar verstecken, Wissenslücken vertuschen und Kompetenz vorgaukeln.
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Syysmyrsky
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#2 Re: Bühne frei ...

Beitrag von Syysmyrsky »

Aki Kaurismäkis "Vertrag mit meinem Killer" am Volkstheater Rostock
... oder "Wie feuere ich meinen Mörder?"
http://www.volkstheater-rostock.de/spielplaene/

Neues Deutschland, 20.05.08., von Gunnar Decker

Die Mai-Sonne versinkt blutrot hinter der Warnow. Was früher ein Speicher inmitten der Hafenanlagen war, ist heute das »Theater am Stadthafen«, Studiobühne des Volkstheaters Rostock. Anu Saari, ab kommender Spielzeit in Rostock Schauspieldirektorin, adaptiert Aki Kaurismäkis Kinoklassiker »Wie feuere ich meinen Mörder« für die Bühne.

Kaurismäki hat den Autismus zur Kunstform erhoben, schweigt beharrlich gegen den Terror der Geschwätzigkeit an. Mittels des weltberühmten Finnen versucht die gebürtige Finnin ins Gespräch mit dem Rostocker Publikum zu kommen. Das ist mutig, denn das Volkstheater Rostock hat sich (bislang) nicht gerade mit avantgardistischen Theaterprojekten einen Namen gemacht. Das soll sich ändern, aber die Lage für das Theater in Rostock bleibt schwierig. Die Stadt steckt in chronischen Finanznöten, manch einem erscheint das Theater da ohnehin ein überflüssiger Luxus. Der Erfolgsdruck für die neue künstlerische Leiterin ist enorm. Anu Saari, die in Helsinki Regie studiert hat, verkörpert eine finnisch-deutsche Theatersymbiose. Ab Mitte der 70er Jahre inszenierte sie am Berliner »Theater der Freundschaft« und ab 1991 war sie unter Christoph Schroth Geschäftsführende Regisseurin am Staatstheater Cottbus. Zwischendurch arbeitete sie immer wieder in Finnland. Ob nun ihr Konzept eines finnischen Schwerpunkts für die kommende Spielzeit aufgeht, entscheidet sich auch am Rostocker Publikum. Die Premiere von »Wie feuere ich meinem Mörder« ist nicht einmal ganz ausverkauft – die Tristesse wird man so leicht nicht los.

Aber soll man sie denn überhaupt loswerden wollen? Alltag in Zeitlupe sieht plötzlich viel weniger dekorativ aus. Ambiente-Gesäusel und Komfort-Ansprüche zerfallen in der Verlangsamung, unter der Herzenskälte des Mittelstandsbürgers vereisen selbst südliche Landschaften. Paradoxerweise ist es gerade Kaurismäkis Kältediagnose, die da einen Hauch von Frühling fühlbar werden lässt. Stephan Kimmig brachte vor einigen Jahren am Deutschen Theater in Berlin eindrucksvoll »Wolken ziehen vorüber« von Kaurismäki auf die Bühne und auch »Wie kündige ich meinem Mörder« findet sich längst auf Spielplänen zwischen Ingolstadt und Frankfurt am Main.

Die Handlung scheint sekundär. Das Übliche eben. Aber gerade darin liegt das Unheimliche, das Albtraumhafte dieses Bilderbogens aus der Angestelltenwelt. Kaurismäki, das große traurige Kind, der Trinker, der Schweiger, scheut sich, uns in das Licht zu rücken, in dem er uns sieht. Es ist ein bizarres Untergangsleuchten. Aber in der Scheu liegt eine Chance. Es ist wie in seinem großartigen Film »Der Mann ohne Vergangenheit« das Protokoll eines wiedergefundenen Gedächtnisses, eines wiedergefundenen Bemerkens des eigenen In-der-Welt-Seins. Aber jetzt ganz anders.

Henri Boulanger arbeitet bei den Stadtwerken. Sein Tagewerk zeigt sich darin, dass die Stapel von Akten im Laufe eines Arbeitstages abnehmen, ohne je ganz zu verschwinden. Wollte man diesen Menschen beschreiben, müsste man sagen: Er ist akkurat. Und doch wird er eines Tages entlassen, nach über zehn Jahren. Was tun ohne die Akten, einen ganzen langen Tag? Er sieht nun nichts, wofür er noch leben sollte, versucht sich aufzuhängen. Das gelingt nicht, also engagiert er einen Auftragskiller, ihn zu töten. Kurz darauf verliebt er sich – und will nun nicht mehr sterben. Aber der Killer (dezent: Siegfried Kadow), dieser dunkle Schatten, den Henri wirft, ist jemand, der kein Geld nehmen will, ohne dafür solide zu arbeiten. Auch er ein Zerrissener, ein Zweifler, zuletzt eine Fiktion des Untergangs.

Aki Kaurismäkis Blick auf die westliche Welt provoziert. Hoffnung? Ja, aber nur wenn man sich des lange achtlos am Wegrand Liegengelassenen erinnert, wenn man nicht weiter an Mauern zwischen den Rändern der Gesellschaft und der Mitte baut. Die Bühne von Mike Hahne: grüne S-Bahnbögen aus genietetem Stahl, wie auf einem Großstadtgemälde von Ernst-Ludwig Kirchner. Geschwindigkeit und Beliebigkeit degradieren den Menschen zu einer Antiquiertheit. Es ist bitter-ernst und nur deshalb auf tieftraurige Weise komisch. Stefan Zweig hat vor fast einem Jahrhundert bereits von der Monotonisierung der Welt gesprochen. Der Mensch erscheint auswechselbar, ein Funktionsteil. Es sei denn, er funktioniert von selbst plötzlich nicht mehr, weil er leidet, Schmerz fühlt – oder sich auf euphorische Weise aus allen ihn bisher beherrschenden Zusammenhängen herausgerissen weiß.

Das Verlangen überfällt Henri Boulanger wie eine Krankheit, bei der Heilung ein vages Versprechen bleibt. Özgür Platte zeigt uns präzise das reduzierte Leben eines kleinen Angestellten, der inmitten seiner gut gepflegten Topfpflanzen verkümmert. Ein auf somnambule Weise Mensch gewordener Aktenvorgang, den nur ein Registraturfehler davor bewahrt, für immer im Archiv abgelegt zu werden. Lebensbejahung bedeutet nicht weniger, als es auszuhalten, täglich mehr beschädigt zu werden. Das meint die spröde Poesie Kaurismäkis, für deren Heroismus man ihn lieben muss. Das Mädchen Margaret (auf schöne Weise umstandslos in Abwehr und Bejahung: Sandra-Uma Schmitz) tritt Henri nicht als eine romantische Projektion der Liebe entgegen, sondern überwältigt ihn durch ihre Anwesenheit. Lakonie und Empfindsamkeit, das Paradox der Berührung – hier findet die Inszenierung ihren Rhythmus, eine szenische Form, die Filmsprache bühnentauglich macht.

Kaurismäki bleibt in der Lesart Anu Saaris erkennbar: Ein Träumer mit Möglichkeiten. Das ist nicht nur sehenswert, sondern verspricht auch einiges an Überraschungen für die Zukunft.

Wieder am 21.05.08
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